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„Was ist Kultur? Zur semiotischen Explikation anthropologischer Grundbegriffe“
  Time:2012-10-23  Hits:
Am 25.9.2012 hat Prof. Dr. Roland Posner von der TU Berlin auf Einladung der Deutschen Fakultät im Raum 418 des Huiwen-Gebäudes einen Vortrag mit dem Titel „Was ist Kultur? Zur semiotischen Explikation anthropologischer Grundbegriffe“ gehalten.

Zur Einführung zitierte Prof. Posner ein Wort von A. Lawrence Lowell und erklärte, wie schwierig es ist, den Begriff „Kultur“ zu definieren. Anschließend warf er die Frage auf, ob „Kultur“ sich als zentraler Begriff der Wissenschaftstheorie überhaupt eignet und ob dieser Begriff mit den Mitteln der heutigen Wissenschaften expliziert werden kann. Der ganze Vortrag handelte von dieser Frage.

Zunächst sprach der Professor über die Geschichte des Wortes „Kultur“. Dieses lasse sich bis zu den Überlegungen des römischen Philosophen Marcus Tullius Cicero zur Tätigkeit des Bauern zurückverfolgen. Im Zeitalter der Aufklärung gab Johann Gottfried Herder dem Begriff einen neuen Sinn. Nach Herder werden die menschlichen Fähigkeiten im Zuge eines fortwährenden Prozesses durch Kultur und Aufklärung von Generation zu Generation weiterentwickelt. Danach griffen viele akademische Bereiche den „Kultur“-Begriff auf. Professor Posner setzte sich in seinem Vortrag besonders mit den Disziplinen der Anthropologie und Semiotik auseinander, die beide Kultur als einheitliches Phänomen zu ihrem Gegenstandgemacht haben.

Anschließend explizierte Prof. Posner die jeweiligen Aufgaben von Anthropologie und Semiotik. Dabei erläuterte er einige Grundbegriffe der Semiotik – wie Kommunikation, Signifikation und Indikation –und erhellte ihre wechselseitige Beziehung anhand einer Analyse der an einer Semiose beteiligten Faktoren wie Sender, Adressat, Botschaft, Medium, Code, Signifikat und Signifikant. Auch auf die drei Teildisziplinen Pragmatik, Semantik und Syntaktik kam er dabei zu sprechen. Entsprechend stellte er auch in der Anthropologie drei Unterbereiche vor, nämlich Sozialanthropologie, Materialanthropologie und Kulturanthropologie, und gab einen Überblick über deren jeweilige Gegenstandsbereiche, nämlich die soziale, materiale und mentale Kultur. Um die tiefere Bedeutung von „Kultur“ zu analysieren, zitierte er die Ansichten einiger Wissenschaftler und erläuterte dievier verschiedenen Bedeutungen des Terminus „Kultur“ in der Anthropologie, die teils die mentale Kultur oder materiale Kultur, teils die Gesellschaft oder Zivilisation in den Blick nimmt. Im Anschluss an diese Einführung in die Grundbegriffe der Anthropologie und Semiotik warf der Professor die folgende Frage auf: Welche theoretische Beziehung besteht zwischen solchen Gegenständen wie Zeichen, Empfänger, Codes, Medien und Botschaften auf der einen Seite und solchen Gegenständen wie Institutionen, Artefakten, Mentefakten und kulturellen Weitergabemechanismen auf der anderen Seite?

Als Antwort auf diese Frage erläuterte Prof. Posner einige wichtige anthropologische Begriffe – wie Gesellschaft, Zivilisation sowie deren Unterbegriffe Artefakt, Instrument und Text – auf semiotischer Ebene. Die Gesellschaft definierte er als„eine Menge von Individuen, deren Struktur durch die Beziehungen bestimmtist, die zwischen ihnen herrschen“. Zivilisation werde als „die Gesamtheit der Artefakte einer Gesellschaft“ definiert, unter Einschluss der Fertigkeiten ihrer Herstellung und Verwendung. Um dies genauer darzustellen, definierte der Professor die Termini „Artefakt“, „Instrument“ und „Text“ und erläuterte auch ihre wechselseitigen Beziehungen und Unterschiede. Gewöhnlich diene der Begriff Artefakt als Schlagwort für alles von Menschen Gemachte. In diesem Zusammenhang führte der Professor auch mehrere umfassende Erklärungen von Anthropologen, Ethnologen und Soziologen an. Um den Begriff „Instrument“ zu erklären, berief er sich auf die Theorie von Rossi Landi: „Wenn man ein Artefakt für einen bestimmten Zweck verwendet, so macht man es damit zum Instrument.“ Danach explizierte er den Begriff „Text“ und gab drei Kriterien dafür an: Ein Text muss gleichzeitig Artefakt und Instrument sein, und er muss kodiert sein. Um dies genauer zu erläutert, nannte der Professor mehrere Beispiele.

Danach erläuterte Prof. Posner den Begriff im engeren Sinn. Dabei führte er zunächst die Ansicht von Semiotikern und Anthropologen wie David Schneider und Umberto Eco an: Zu einer Kultur wird all das gerechnet, wofür diese einen Begriff hat, was also in ihr konzeptualisiert worden ist. Dann charakterisierte der Professor Mentefakte semiotisch und stellte den folgenden Zusammenhang her: Wenn eine Gesellschaft als Menge von Zeichenbenutzern, eine Zivilisation als Menge von Texten und eine mentale Kultur als Menge von Codes definiert werden kann, so sind diese drei Bereiche notwendig miteinander verbunden, und keiner kann ohne Bezug auf den anderen untersucht werden. Folglich sind die Sozial-, Material- und Kulturanthropologie einander ergänzende Zweige einer einheitlichen Disziplin.

Darüber hinaus explizierte der Professor den Begriff „Kulturmechanismus“: Dieser beziehe sich auf die Frage, wie eine gegebene soziale, materiale und mentale Kultur von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Daneben teilte der Professor die Semiotik in vier verschiedene Bereiche ein – das Außerkulturelle, das Nichtkulturelle, das kulturell Periphere und das kulturell Zentrale – und verglich diese Bereiche miteinander.

Zusammenfassend erklärte Prof. Posner Kultur als kollektives Gedächtnis. Die Kultur sei ein kollektiver Mechanismus zur Informationsspeicherung, der auf der Herstellung von Texten mit Hilfe kultureller Codes und auf ihrer Rezeption mit Hilfe von Indikationsprozessen beruhe. Als kollektives Gedächtnis sei Kultur nicht nur ein Speichermechanismus, sondern auch ein Selektionsapparat.